Zu einer spannenden Zeitreise durch die über 200-jährige Industriegeschichte von Gaggenau nahm Stefan Schwaab, 1. Vorsitzender des Vereins Unimog-Museum, Mitte November zahlreiche Besucher des Helmut-Dahringer-Hauses in einem reich bebilderten Vortrag mit.
Erste gute Voraussetzungen für die Entwicklung einer florierenden Industrie waren laut Schwaab mit Wald, Wasser und Steinen – vom Eichelberg bis Raumünzach – gegeben. Die Eisenbahn von Rastatt bis Gernsbach kam dann 1869 noch als weiterer günstiger Standortfaktor hinzu.

Doch ein besonderer Glücksfall war es, als sich Mitte des 18. Jahrhunderts Anton Rindeschwender, der Sohn eines Tiroler Holzhauers, hier zunächst durch Holzhandel ein Vermögen aufbaute, das es ihm ermöglichte, die Gaggenauer Glasfabrik zu errichten. Damit legte er den Grundstein für weitere industrielle Entwicklungen. Als Oberschultheiß ließ er zudem den Amalienberg urbar machen, was ebenfalls viel Beschäftigung mit sich brachte.

Der fast atemberaubende Aufschwung kam aber 1873 nach dem Kauf des bereits Ende des 17. Jahrhunderts hier errichteten Hammerwerks durch den Frankfurter Bankier Michael Flürscheim. Bis 1888 entwickelte er seine Eisenwerke zu einem führenden Industriebetrieb auf dem Kontinent mit über 1000 Mitarbeitern und einem extrem breit gefächerten Produktionsprogramm. Es wurde ein „Etablissement für Neuheiten“. Dabei hatte er mit Theodor Bergmann ab 1884 einen ebenbürtigen Teilhaber. Beide boten ihren Mitarbeitern sehr viele freiwillige Sozialleistungen an. Dazu zählten bereits eine Arbeiterkrankenkasse, Entgeltfortzahlung im Krankenfall, eine Kantine und Darlehen zum Bau eines Eigenheims. Flürscheim setzt es gegen großen Widerstand durch, dass auch in dem kleinen Dörfchen Gaggenau einen Wochenmarkt angeboten wurde, denn seine Mitarbeiter sollten die Möglichkeit haben, frische Lebensmittel zu erwerben. Er gründete unter anderem die Freiwilligen Feuerwehr und übernahm sogar die Aufgaben des Schriftführers und Kassiers.
Flürscheim war zudem ein international anerkannter eifriger Verfechter der Bodenreform und schrieb hierzu mehrere Bücher.

Nach Gründung seiner eigenen Industriewerke auf Ottenauer Gemarkung begann Bergmann bereits 1895 auch mit dem Bau von Automobilen, die der geniale Baden-Badener Ingenieur Josef Vollmer entwickelt hatte. Mit verständlichem Stolz erwähnte Schwaab, dass der älteste erhalten gebliebene Personenwagen – noch in Kutschenform – im Unimog-Museum zu bewundern ist.
Die Spezialisierung auf Nutzfahrzeuge und Omnibusse in der 1905 ausgegründeten „Süddeutschen Automobilfabrik Gaggenau“ erwies sich als richtige Entscheidung. Benz & Cie übernahmen 1907 das erfolgreiche Werk und firmierten ab 1911 als Benz Gaggenau – seitdem wird hier „in unserem Benzwerk“ gearbeitet.

Natürlich bezeichnete es des Vorsitzende des Unimog-Museums zurecht als weiteren Glücksfall für das Murgtal, dass 1951 in einer Zeit besonders kritischer Unterbeschäftigung im Werk die Produktion des Unimog hier begann. Über 320.000 dieser Alleskönner wurden in der Folge hier bis 2002 gebaut und in alle Welt verkauft. Grund genug für das Unimog-Museum. Ebenfalls eine Erfolgsgeschichte.

Schwaab zeigt auch die interessante parallele Entwicklung anderer Gaggenauer Unternehmen wie beispielsweise König-Metall, Recycling-Lang und Protektorwerk Maisch auf.

Eine solch beispielhafte industrielle Entwicklung, so Schwaab, habe eine besondere Aufmerksamkeit verdient. Daher wurden bereits Vorbereitungen getroffen, auf einer Empore im Unimog-Museum die Industriegeschichte von Gaggenau zukünftig vorstellen zu können. Dabei sei auch vorgesehen, dass sich die heutigen Unternehmen präsentieren können.

Das nächste Erzählcafé findet am Mittwoch, 14. Januar 2026 um 15 Uhr im Helmut-Dahringer-Quartiershaus statt. Herbert Walterspacher (Stiftung pro-fratre-et-amico) berichtet über seine Reise nach Uganda, wo er dieses Jahr zusammen mit seinem Sohn Ralph die Patenschaftsprojekte in den dortigen Flüchtlingscamps besucht hat.

Bildunterschrift:
Um 1900 bestand das kleine Industriedorf Gaggenau noch aus den Eisenwerken „und ein paar Häusern drumherum“.
Foto Archiv Michael Wessel