Interview mit Rosi Lehmann: „…wenn es so weit ist, gebt mich bitte ab!“

Auch Rosi Lehmann hat viele Bilder in Erinnerung. Ihr Berufsleben, das von 1979 bis 2014 mit der Gaggenauer Altenhilfe verbunden war, ist geprägt durch viele Frauen und Männer, auch Jugendliche, die sie begleitet hat. Als Mitarbeiterin und Kollegin, als Pflegerin und Pflegedienstleiterin. Immer engagiert und sehr beliebt. Sofort fallen ihr der erste Heimleiter Bogus ein, ebenso Schwester Elfriede und Schwester Meta, auch Hausmeister Lojek. Bei den Heimbewohnern, so ihre lebhafte Erinnerung, gab es die Herren Freiberger, Hartmann und Lehmann, die sich alle – Rosi Lehmann lächelt – gegenseitig im Älterwerden übertrumpfen wollten.

Wie war Ihr Einstieg bei der Gaggenauer Altenhilfe?

Rosi Lehmann: Mein Berufsleben begann ganz anders: erst mit einer Ausbildung in einer Zahnarztpraxis, danach mehrere Jahre in der Verwaltung einer Krankenkasse. Aber ich wollte mich 1979 neu orientieren. Der Vater meines Schwiegervaters lebte seit der Eröffnung im Helmut-Dahringer-Haus, zuerst im Wohn- und später im Pflegebereich. So begann der erste Kontakt. Bei den Spaziergängen durch Gaggenau mit Uropa Carl im Rollstuhl habe ich überall gemerkt, wie wenig an ältere Menschen gedacht wurde. Zum Beispiel gab es keine abgesenkten Bordsteine und auch nur unüberwindbare Treppenstufen. Das ist heute anders. Aber damals war das sehr schwer.

Vom Bürojob zur Altenpflegerin – das war aber ein großer Schritt!

Rosi Lehmann: Ich bin drei Mal die Woche zum Uropa gekommen und habe dann im Pflegedienst angefangen. Das war für mich in der Wechselschicht mit früh und spät aber schwierig mit zwei kleinen Kindern. Nach einer längeren Unterbrechung habe ich 1994 bei der Gaggenauer Altenhilfe mit 45 als Azubis in der Altenpflege angefangen. Der damalige Heimleiter Manfred Lang sagte zur mir: „Rosi du fängst sofort hier an. Wir brauchen dringend Leute! Du machst jetzt die Ausbildung und gehst in die Anne-Frank-Schule in Rastatt.“ Blond und blauäugig bin ich eingestiegen. Nach einem Jahr mit sehr guten Noten habe ich weiter gelernt und Weiterbildungen gemacht. Ohne die Unterstützung von meinem Mann Kurt wäre das nie gegangen! Ich war schließlich kein Heimchen am Herd. Aber das wollte mein Mann auch nicht.

Was hatte die Arbeit bei der GAH damals für einen Stellenwert?

Rosi Lehmann: Wenn ich gesagt habe, wo ich arbeite, kam als Reaktion: „Oh, wie schön! Die Gaggenauer Altenhilfe war sehr anerkannt. Hier zu arbeiten, gab einem einen gewissen positiven Stellenwert. Wie wenn man in Gaggenau sagt: Ich arbeite beim Benz. Das kam sehr gut an.

Ist das heute auch noch so? Oder wie wird die Arbeit in der Pflege heute gesehen?

Rosi Lehmann: Das ist abgeflacht. Es ist ein gesellschaftspolitisches Problem. Aber es gibt jetzt auch viele andere Einrichtungen. Damals stach die Gaggenauer Altenhilfe schon hervor.

Wenn Sie an Ihre Zeit bei der GAH zurückblicken: Welche Gefühle löst das bei Ihnen aus?

Rosi Lehmann (sehr nachdenklich): In der Erinnerung gibt es natürlich Gutes und nicht so Gutes. Aber ich bin sehr dankbar für alles, was ich erlebt habe! Dass ich trotz der vielen Unwägbarkeiten und der vielen Stolpersteine, die das Leben für mich bereitgehalten hat, so gut durch alle Kurven, Tiefen und Höhen gekommen bin. Ich bin dankbar für all die Menschen, die ich auf diesem Weg getroffen und die mich begleitet haben. Ja, im Rückblick ist das vor allem das Gefühl der Dankbarkeit.

Danke für Ihre Offenheit! Könnten Sie sich mit zunehmendem Alter vorstellen, hier als Bewohnerin einzuziehen und sich bei der GAH mal pflegen zu lassen?

Rosi Lehmann: Ich habe das in meinem Kopf bereits geplant. Ich habe zu meinen Kindern gesagt, wenn es irgendwann mal so weit ist, dass ich es zuhause nicht mehr alleine schaffe und meine Familie zu sehr belastet wird, dann bringt mich bitte in einen Pflegebereich. Aber fragt mich nicht, ob ich das will. Ich werde wahrscheinlich Nein sagen, vielleicht weil ich das gar nicht mehr wahrnehmen kann. Hier ist mein Einverständnis, wenn es so weit ist, gebt mich bitte ab.

Was haben Ihre Kinder gesagt? Reden Sie darüber oder wird in Deutschland grundsätzlich zu wenig über das Thema Alter und Pflege gesprochen?

Rosi Lehmann: Meine Kinder haben das weggeschoben und gesagt: Mama, das ist noch lange hin. Aber wir müssen darüber reden. Ich habe hier nicht nur gearbeitet und Menschen bis zum Tod gepflegt. Ich habe auch in einer Familie gelebt, wo noch zuhause gestorben wurde. Man hat das miterlebt. Wenn damals jemand einen Schlaganfall hatte, da gab es nicht die vielen medizinischen Hilfen. Da hat man den Menschen in seinem Schicksal gelassen. Meine Großmutter hatte mit 85 einen Schlaganfall. Sie konnte nicht mehr reden, und sie ist nach dem zweiten Schlaganfall ein paar Tage später zuhause sanft eingeschlafen. Ich saß an ihrem Bett als Kind. Man hat mir das erklärt, und ich habe Abschied genommen. Ich saß am Bett von meinem Vater, und ich habe das bei meinen Onkeln gesehen. Das war etwas vollkommen Normales. Heute gehört das nicht mehr dazu. Sterben schiebt man ab. Langsam kommt wieder das Bewusstsein und das ist wichtig!

Wie schwierig war das für Sie, immer wieder Menschen sterben zu sehen?

Rosi Lehmann: Das hing davon ab, wie stark die Beziehung zu jemandem war. Es ist immer ein Mensch, der sich verabschiedet und von dem man Abschied nimmt. Ich habe mir immer Zeit genommen, bin nochmal alleine ins Zimmer und habe persönlich Abschied genommen. Man braucht für diese Arbeit eine dicke Haut, aber das hat nichts mit Abgebrühtheit zu tun. Das sind zwei verschiedene Seiten. Man muss versuchen, möglichst viel hier drin zu lassen und nicht mit nach Hause zu nehmen. Das gelingt nicht immer. Wichtig ist, dass man jemanden hat, mit dem man darüber reden kann.

Was wünschen Sie der GAH für die Zukunft?

Rosi Lehmann: Anerkennung von allen Seiten. Natürlich genügend Personal. Genügend gutes Personal! Mitarbeiter mit viel Empathie, Ausdauer, dazu verständnisvolle Bewohner und Angehörige, die die Arbeit verstehen und schätzen.